Ich bin stinkwütend! Und was jetzt?

Umgang mit Emotionen: Wut aus der Perspektive einer körperzentrierten Gestalttherapeutin

In der heutigen, schnelllebigen Welt erleben viele Menschen intensive Emotionen, insbesondere Wut. Doch wie gehen wir damit um? Nach unserer Perspektive geht es nicht nur darum auf die Emotion selbst zu fokussieren, sondern auch auf die tiefe Verbindung zwischen Körper und Geist. Ein zentraler Aspekt dabei ist der sogenannte Reiz-Reaktions-Raum oder Wahrnehmungsraum – der Moment zwischen Auslöser und Reaktion. In diesem Raum liegt unsere Chance, innezuhalten, die körperlichen Empfindungen wahrzunehmen und bewusst zu entscheiden, wie wir reagieren wollen. Dieser Raum ermöglicht es uns, die Wut nicht zu unterdrücken, sondern sie konstruktiv zu kanalisieren.

Im folgenden Interview mit dem SRF zu einem Beitrag im heutigen 10 vor 10 mit mir werfen wir einen Blick darauf, wie die Gestalttherapie uns helfen kann, diesen Raum zu nutzen und unsere Emotionen – speziell Wut – auf gesunde und transformative Weise zu begegnen. Nachstehend das vollständige Interview aufgrund der Neueröffnung eines Rage Rooms.

Was halten Sie von der Idee, im Rage Room Wut abzulassen?

„Die Idee eines Rage Rooms kann auf den ersten Blick verlockend erscheinen, da sie eine unmittelbare Möglichkeit bietet, aufgestaute Wut physisch abzureagieren. Allerdings ist es wichtig, zu bedenken, dass das bloße Ausagieren von Wut nicht unbedingt zu einer langfristigen Lösung führt. Aus der körperzentrierten gestalttherapeutischen Perspektive geht es weniger darum, die Wut einfach nur rauszulassen, sondern vielmehr darum, sie in einem sicheren Rahmen zu erforschen und zu verstehen, was hinter dieser Emotion steht. Wut ist oft ein Signal für tiefere, ungelöste Themen, die durch bloße physische Entladung nicht adressiert werden.“

Wie sollte man denn mit Wut umgehen?

„Wut ist eine natürliche Emotion, die ihren Platz und ihre Funktion hat. Der Schlüssel liegt darin, sie zu erkennen, anzunehmen und in einem sicheren Raum zu reflektieren, bevor sie impulsiv ausagiert wird. In der körperzentrierten Gestalttherapie arbeiten wir daran, die körperlichen Empfindungen, die mit Wut einhergehen, bewusst wahrzunehmen und zu regulieren. Dies kann durch Atmung, Achtsamkeit und das Erforschen der zugrunde liegenden Gefühle geschehen, um die eigentliche Ursache der Wut zu verstehen und konstruktive Wege zu finden, damit umzugehen.“

Was gibt es für Strategien / Übungen?

„Eine effektive Strategie ist die bewusste Atmung, die dabei hilft, sich zu zentrieren und den körperlichen Anspannungszustand zu regulieren. Eine weitere Übung ist die achtsame Selbstwahrnehmung, bei der wir uns auf die körperlichen Empfindungen konzentrieren, die mit der Wut einhergehen, ohne sofort zu reagieren. Auch die Arbeit mit Gestalttherapie-Techniken, wie dem Dialog mit der Wut, kann helfen, ein tieferes Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu entwickeln. Es geht darum, die Wut als Informationsträger zu nutzen und sie in konstruktive Handlungen umzuwandeln.“

Was halten Sie von der Theorie, dass es ein Ventil braucht, um Wut abzulassen?

„Die Idee eines Ventils, um Wut abzulassen, hat ihre Berechtigung, aber sie greift oft zu kurz. Wut einfach nur abzureagieren, ohne die zugrunde liegenden Ursachen zu bearbeiten, kann dazu führen, dass die Emotion immer wieder auftaucht. Wichtiger als das bloße Abreagieren ist es, Wut in einem therapeutischen Kontext zu bearbeiten, wo sie gefühlt, verstanden und transformiert werden kann. So kann die Energie der Wut auf positive und kreative Weise genutzt werden.“

Gibt es Fälle, in denen Sie es als sinnvoll erachten, Gewalt anzuwenden, um Zugang zu den Gefühlen zu erhalten?

„Gewalt anzuwenden, um Gefühle auszudrücken, ist aus therapeutischer wie auch aus sozialer und gesellschaftlicher Sicht problematisch. Es kann kurzfristig erleichternd sein, aber es besteht die Gefahr, dass man in destruktive Muster verfällt oder sogar neue Traumata erzeugt. Vielmehr geht es darum, sicherere und konstruktivere Wege zu finden, um Zugang zu den eigenen Gefühlen zu erhalten. In der Therapie arbeiten wir daran, diese Emotionen zu benennen, sie körperlich zu spüren und in Worte zu fassen, anstatt sie auf gewaltsame Weise auszudrücken.“

Was ist die Gefahr, wenn man Aggressionen unkontrolliert rauslässt?

„Unkontrollierte Aggressionsausbrüche können gefährlich sein, da sie nicht nur andere verletzen können, sondern auch denjenigen, der sie auslebt, destabilisieren. Es besteht das Risiko, alte Traumata zu reaktivieren oder von den eigenen Gefühlen überwältigt zu werden, was die Situation noch verschlimmern kann. In der Therapie geht es darum, Aggressionen zu erkennen, sie zu regulieren und in einen konstruktiven Kontext zu bringen, anstatt sie unkontrolliert auszuleben.“

Konditioniert man sich auch selbst darauf, in gewissen Situationen gewalttätig zu werden?

„Ja, es besteht die Gefahr, dass man sich unbewusst darauf konditioniert, in bestimmten Situationen aggressiv zu reagieren, wenn man regelmäßig Wut durch Gewalt ausagiert. Dies kann zu einem Teufelskreis führen, in dem man immer häufiger zu dieser Reaktion greift, anstatt alternative, friedlichere Lösungen zu finden. Es ist wichtig, diesen Kreislauf zu durchbrechen, indem man lernt, die Signale des Körpers rechtzeitig zu erkennen und andere Wege zu finden, um mit Wut umzugehen.“

Wird es schwieriger, im Alltag solche impulsiven Gefühle unter Kontrolle zu halten?

„Wenn man sich regelmäßig darauf verlässt, Wut impulsiv und aggressiv auszudrücken, kann es tatsächlich schwieriger werden, diese Impulse im Alltag zu kontrollieren. Die körperzentrierte Gestalttherapie hilft dabei, sich dieser Muster bewusst zu werden und neue Wege zu finden, mit starken Emotionen umzugehen. Durch Achtsamkeit und körperliche Selbstwahrnehmung kann man lernen, diese Impulse zu erkennen und ihnen bewusst zu begegnen, bevor sie außer Kontrolle geraten.“